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AIRG Belgien: Hoffnung nähren

März 2011

Paule & ClaudeClaude wusste, dass etwas mit seiner Gesundheit nicht stimmt: Immer wieder fand er Blut in seinem Urin, doch mit der Zeit gewöhnte er sich daran.

Aber 1972, nach der Geburt seiner Tochter Muriel, erhielt er die schwere Nachricht, dass sein Kind und er das Alport-Syndrom haben, eine erbliche Form von Nierenentzündung (Nephritis).

 

Als Muriel erwachsen war, entschied sie sich, nur ein einziges Kind zu bekommen, aber auch ihre Tochter Morgane hatte Alport. „Jahrelang suchten wir überall und immer wieder nach Informationen. Als dann 1988 die Französische Gesellschaft für Genetische Nierenkrankheiten (AIRG-France) gegründet war, besuchten wir deren Treffen und nahmen begierig alle Neuigkeiten auf!“ sagt Paule Nyst, Claudes Ehefrau. Dann, 2007, wurde mit 50 Mitgliedern die Belgische Gesellschaft für Genetische Nierenkrankheiten (AIRG-Belgium) gegründet. Jetzt hat diese Patientenorganisation 250 Mitglieder! Paule ist Stellvertretende Vorsitzende.

 

Paule & MorganeGenetische Nierenkrankheiten nehmen einen schweren Verlauf und erfordern oft eine Dialysebehandlung oder eine Nierentransplantation. Nicht nur das Alport-Syndrom, auch  CHARGE, Fabry, Joubert, Bardet-Biedl sind genetische Nierenkrankheiten. Paule Nyst hat bei AIRG eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe: Sie nimmt die Anrufe entgegen. „Ich habe im Urin meiner Enkeltochter das Blut gesehen, ich kenne das Gefühl der völligen Hilflosigkeit, ich weiß, was es bedeutet, nichts über seltene Krankheiten zu wissen, und kann nachempfinden, wie Panik, Traurigkeit, Verlassensein und Depressionen aufkommen, wenn eine schwerwiegende Diagnose mitgeteilt wird.“

 

Wie Paule Nyst erlebte, sind die Nephrologen leider völlig mit Arbeit eingedeckt. „Zwar leisten sie eine ganz hervorragende Arbeit, aber die Menschen kommen auch zu uns, weil wir ihnen eine freundliche Schulter bieten, an die sie sich lehnen können. Wir vermitteln ihnen Informationen, sie kommen zu unseren Treffen, wo sie von anderen Patienten und deren Erfahrungen hören. Und wir geben ihnen auch Listen von Ärzten, die über Alport informiert sind“, sagt Paule Nyst. AIRG geht mit Informations- und Datenblättern an die Öffentlichkeit. “Es ist wichtig, dass die Menschen von uns in der Chirurgie, im Krankenhaus und bei medizinischen Veranstaltungen, wie den Messen am ‘Nieren-Tag’ und am ‚Pädiatrie-Tag‘, erfahren.“

 

Im vergangenen Oktober hatte die AIRG Belgien ihr drittes Jahrestreffen. Etwa 130 Teilnehmer, die meisten von ihnen Patienten, besuchten Workshops, Vorlesungen und Diskussionsgruppen. Im Vortrag von Michel Mercier, der als Psychologe an der Universität von Namur arbeitet, ging es um ‚Seltene Krankheiten und Standhaftigkeit‘. Standhaftigkeit ist die positive Fähigkeit der Menschen, mit Stress und Widerständen fertig zu werden. „Die Teilnehmer waren mit den Vorträgen sehr zufrieden und stellten viele Fragen. Sie fühlten sich im täglichen Kampf mit ihrer Krankheit bestätigt und verstanden“, sagt Paule Nyst.

 

Der diesjährige Tag der Seltenen Krankheit mit seinem Thema ‘Ungleiche Gesundheitsversorgung’ findet auch in den Erfahrungen der belgischen Patienten mit seltenen Krankheiten einen traurigen Widerhall. Als würde nicht schon ihre tägliche Last ausreichen, begegnen sie dazu noch Diskriminierung und Ungerechtigkeiten, wenn sie z.B. einen Kredit beantragen. „Ich kenne Menschen, die lügen mussten, um ein Darlehen zu erhalten. Und Versicherungsunternehmen lehnen Menschen mit genetischen Nierenkrankheiten ab. Das ist nicht fair. Viele unserer Patienten arbeiten ihr ganzes Leben lang und zahlen Steuern, dann sollte ihnen auch nicht die einfache Krankenversicherung verweigert werden“, betont Paule Nyst.

 

Die AIRG Belgien will in allen Landesteilen Büros eröffnen (bisher gibt es nur eines in Lüttich) und durch Organisation örtlicher Diskussionsveranstaltungen und Vorlesungsreihen eine größtmögliche Zahl von Menschen erreichen. Auch diese Patientenorganisation will sich in der Forschung engagieren und hat schon mehreren Mitglieder Fortbildungen in der Schule für DNA im französischen Evry ermöglicht. 

 

„Meine Enkeltochter Morgane wird bald 11 und sagt jetzt öfter, dass sie keine eigenen Kinder haben will, damit sie das Alport-Syndrom nicht weitergibt. Es ist furchtbar, das von einem so kleinen Mädchen zu hören, und ich hoffe als Großmutter und als Aktivistin, dass es mir gelingen wird, ihr Mut zu machen.“


Dieser Artikel wurde zuerst in der April 2011 -Ausgabe des EURORDIS-Newsletter veröffentlicht.
Autor: Nathacha Appanah
Übersetzer: Ulrich Langenbeck
Fotos: © Paule Nyst & AIRG-Belgium