Carpe diem – Noémies Geschichte über ihr Leben mit amyotrophener Lateralsklerose
Juni 2019Noémie ist Mutter von vier Kindern und wurde mit der Motoneuronerkrankung Amyotrophische Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert. Sie wurde in Luxemburg geboren und studierte klassischen und lyrischen Gesang am Musikkonservatorium Luxemburg und am Conservatoire National Régional de Nancy. Sie ist eine anerkannte Opernsängerin (Sopran ) und gab einen unvergesslichen Auftritt und hielt eine inspirierende Rede auf den 2019 EURORDIS Black Pearl Awards.
Hier erzählt Noémie ihre Geschichte von der Diagnose bis zum täglichen Leben mit ALS:
Die Diagnose in Luxemburg zu erhalten war ein langer und schwerer Weg, da es dort keine Spezialzentren bzw. Krankenhäuser für Motoneuronenerkrankungen wie ALS gibt. Ich musste sehr geduldig sein, was ich sonst nicht bin.
Es begann 2013. Mein rechtes Bein wurde irgendwie steif und schwach. Ein paar Monate später wurde es so schlimm, dass ich mit einem Stock gehen musste. Ein Jahr danach begann das Gleiche am linken Bein und das Gehen wurde noch schwieriger. Ich musste auf Krücken gehen. Meine Arme wurden ebenfalls schwächer und ich brauchte einen Rollator.
2017 wurden dann die Muskeln in meinem Rücken, meinem Nacken und meinem Gesicht immer schwächer. Ich war erschüttert, da ich nicht mehr gerade stehen konnte. Gehen, Stehen und selbst in einem normalen Stuhl sitzen war unmöglich und seit dem muss ich einen elektrischen Rollstuhl nutzen.
Seit 2018 habe ich Atemprobleme und brauche nachts eine nichtinvasive Beatmung (BPAP). Aktuell ist meine Lungenfunktion wirklich nicht gut und mittlerweile habe ich auch Probleme beim Schlucken. Kürzlich hatte ich eine Ernährungssonde und aufgrund meiner schlechten Lungenfunktion musste ich ein paar Tage ins Krankenhaus und auf die Intensivstation.
Wie ist mein Leben mit einer Erkrankung wie ALS? Nun, es ist sicherlich nicht das Gleiche wie davor. Dennoch ist mein Leben jetzt nicht unmöglich oder wirklich schlecht. Ich kann nicht durch die Berge wandern gehen oder ein Pferd reiten und auch nicht in den Alpen Ski fahren. Aber mit meinem elektrischen Rollstuhl kann ich mit meinen Hunden, meinen Kindern oder meinem Mann spazieren gehen, selbst wenn ich nicht so schnell bin. Ich habe Glück, dass die Erkrankung langsam voranschreitet.
Gesang ist und war immer meine größte Leidenschaft. Es war immer mein Traum, Opernsängerin zu werden und ich bin wirklich glücklich, dass ALS mir meine Stimme noch nicht genommen hat. Ich kann immer noch singen und auftreten. Ich weiß wirklich nicht, wann sich das ändern wird, aber ich bin froh, dass ich Einladungen für Auftritte auf Veranstaltungen wie die Black Pearl Awards annehmen kann. Darüber hinaus organisiere ich Benefizkonzerte in Luxemburg, um Spenden für die Unterstützung von ALS-Patienten zu sammeln.
Natürlich macht mir meine Zukunft mit ALS große Angst. Meine Stimme zu verlieren, wird für mich das Schlimmste sein. Deshalb möchte ich dem, was ich verloren habe, nicht nachschauen. Gleichzeitig möchte ich nicht zu weit in die Zukunft sehen. Ich lebe jetzt und bis jetzt kann ich noch singen. Zwei Redewendungen sind mir sehr wichtig. – Die erste lautet ‚Carpe diem‘ (nutze den Tag), da ich jetzt in diesem Moment lebe und jeder Tag für mich zählt. Die zweite ist ‚niemals aufgeben‘, denn fast alles ist möglich mit einem starken Willen und dem brennenden Ehrgeiz, ein Projekt zur Vollendung zu bringen.
Ich sage meiner Familie, ich werde niemals aufgeben, denn das Leben gibt mir immer noch viel Freude und Glück sowie kostbare Augenblicke mit ihnen und meinen Freunden.
Für mich ist ALS noch nicht das Ende… Carpe diem und niemals aufgeben.