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Marfan-Syndrom: Die stumme Krankheit

August 2010

Véronique Vrinds war nicht nur größer als ihre Schulkameraden, sie war auch etwas unbeholfen und verstauchte sich oft ihre Gelenke.

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Véronique Vrinds war nicht nur größer als ihre Schulkameraden, sie war auch etwas unbeholfen und verstauchte sich oft ihre Gelenke. Rückenschmerzen traten auf, ihr Brustkorb war größer als normal, und sie wurde schnell müde. „Aber meine Mutter hatte die gleichen gesundheitlichen Probleme, und so schoben wir alles auf unsere Körpergröße und lernten, damit zu leben“, sagt Véronique Vrinds, in Belgien lebende Mutter zweier Kinder.

 

Im Juni 2001 ging sie mit ihrem Sohn, er war damals drei, zu einem Kardiologen. Der diagnostizierte eine vergrößerte Aorta, eines der Symptome des Marfan-Syndroms. „Der Kardiologe empfahl mir, zu einem Humangenetiker zu gehen, weil Marfan erblich ist. Aber ich konnte nicht glauben, dass ich eine seltene Krankheit habe. Mein Leben war fast normal gewesen. Es kann sein, dass mich diese neue Nachricht einfach verletzte”, gesteht jetzt Véronique. Ein Jahr später wurde die Diagnose des Marfan-Syndroms bei ihr, ihrem Sohn Joe und ihrer Mutter bestätigt.

 

Das Marfan-Syndrom ist eine Erkrankung des Bindegewebes. Das Bindegewebe hält alle Teile des Körpers zusammen und hat einen Einfluss darauf, wie das Wachstum verläuft. Weil Bindegewebe überall im Körper vorhanden ist, können die Symptome des Marfan-Syndroms in den verschiedensten Geweben und Organen auftreten. Oft treten Symptome von seiten des Herzens, der Blutgefäße, der Knochen, Gelenke und Augen auf. Manchmal sind auch die Lungen und die Haut betroffen. Einer von etwa 5000 Menschen hat ein Marfan-Syndrom. Das Marfan-Syndrom ist eine erbliche Krankheit. Etwa 25-30% sind in ihrer Familie die ersten Betroffenen, können das Syndrom dann aber ebenfalls weitervererben. Und Tausende wissen nicht einmal, dass sie betroffen sind, bei ihnen ist die Krankheit (für im einzelnen unbekannte Zeit) stumm.

 

Belgium Marfan Syndrome Association logo | logo de l'Association Belge du Syndrome de Marfan | Insignia de la Asociaci_n Belga del S_ndrome de Marfan | Marchio dell'Associazione Belga per la Sindrome di Marfan | Logo de Associa?_o Belga da S_ndrome de Marfan | Firmenzeichen - Belgischen Marfan-Syndrom-VereinigungIm Jahr 2004 ging Véronique Vrinds, als sie sich sehr matt fühlte, zu einem anderen Kardiologen. Er fand, dass ihre Aorta auf 55 Millimeter erweitert ist (Der kritische Wert ist 50 Millimeter). Danach vergingen keine vier Wochen mehr, bis sie am Herzen operiert wurde. „Diese Operation war wie ein Weckruf. Mir wurde bewusst, dass ich eine schwere Krankheit habe, die ich nicht enfach beiseite schieben konnte. Deshalb fing ich an, Ausschau nach Menschen mit Marfan-Syndrom zu halten, die auch eine Operation hinter sich hatten. So kam ich schließlich zum Internetforum der Belgischen Marfan-Syndrom-Vereinigung,” erinnert sich Véronique. Die belgische Vereinigung war 1999 von Yvonne Jousten gegründet worden, als man bei ihrem Sohn das Marfan-Syndrom diagnostiziert hatte. Véronique besuchte ein Treffen, und zwei Jahre später wurde sie bei der Vereinigung Sekretärin. „Meine Aufgabe war, Menschen zu helfen, die wie ich, wie mein Sohn, wie meine Mutter mit den Folgen des Marfan-Syndroms zu kämpfen haben. Dabei ist mir aber klar, dass ich zu den Glücklichen gehöre, bei denen die Diagnose noch rechtzeitig gestellt wurde. Viele Menschen wissen einfach nicht, dass sie ein Marfan-Syndrom haben. Deshalb ist eines der Ziele unserer Vereinigung, das Bewusstsein für diese seltene Krankheit zu stärken.“

 

Maelle PerezMaelle Pérez ist Sozialberaterin und arbeitet bei der Schweizerischen Marfan-Stiftung. Sie selbst hat das Syndrom nicht, kannte es aber schon bevor sie bei der Stiftung arbeitete. „Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich einige Probleme mit dem Herzen. Ich war hochgewachsen und sehr dünn. Eine zeitlang dachten die Ärzte an Marfan-Syndrom, bevor sie diese Idee wieder verwarfen“, erinnert sich Maelle. Die Schweizerische Marfan-Stiftung wurde 1987 von Sylvia Weiss und Gerhard Zumstein gegründet, nachdem sie ihren 15 Jahre alten Sohn mit einer Dissektion der Aorta verloren hatten. Trotz seiner auffälligen Symptome und der vielen Probleme, unter denen er zu leiden hatte, wurde die Diagnose Marfan-Syndrom erst wenige Monate vor seinem Tod gestellt. Zu dieser Zeit gab es in der Schweiz noch keine Anlaufstelle für Patienten mit dieser Krankheit und nur wenige Ärzte kannten sie. „Ihr tragischer Verlust weckte in Sylvia Weiss und Gerhard Zumstein den Wunsch zu helfen, dass andere Menschen mit der gleichen Bedrohung einem solchen Ereignis vorbeugen. Anfangs war ihre Wirkung so groß, dass die Medien berichteten, in ihrer Region sei eine ‚Marfan-Hysterie‘ ausgebrochen“, erklärt Maelle Pérez. „Von Beginn an hatte die Stiftung das Ziel, Betroffenen und ihren Angehörigen durch Vermittlung von Kontakten mit Wissenschaftlern, Ärzten und Spezialisten zu helfen. Dies findet seine Entsprechung in der Zusammensetzung des Vorstandes der Schweizerischen Marfan-Stiftung: Mitglieder sind Betroffene, vier Ärzte, ein Spezialist für Kommunikation und ein Rechtsanwalt. Eine dauernde Herausforderung ist die Bereitstellung von spezialisierter medizinischer Betreuung und Behandlung, von ausreichender Unterstützung und guter Beratung für die etwa 750 Menschen, die in der Schweiz mit dieser komplexen Krankheit leben.“

 

Im Jahr 2007 feierte die Schweizerische Marfan-Stiftung ihr 20-jähriges Bestehen, die Belgische Marfan-Vereinigung wurde am 1. Juni 2009 10 Jahre alt. Für beide Organisationen bleibt das Motto ihrer Arbeit unverändert: Den Patienten helfen und dieser oft stummen, aber schweren seltenen Krankheit eine Stimme geben.

 


Dieser Artikel wurde zuerst in der Juli 2009 -Ausgabe des EURORDIS-Newsletter veröffentlicht.

 

Autor: Nathacha Appanah
Übersetzer: Ulrich Langenbeck

Fotos: Véronique Vrinds & logo © L‘ Association Belge du Syndrome de Marfan  (ABSM) ; Maelle Pérez ©  Marfan Stiftung Schweiz