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Strümpell-Lorrain-Krankheit

September 2010

Philippe Grammont„Mein Vater konnte schon recht früh nicht mehr gehen und war dann auf einen Rollstuhl angewiesen. Dennoch haben wir nie gedacht, daß wir in der Familie eine erbliche Krankheit haben“, sagt Philippe Grammont, Gründer und Vizepräsident der Französischen Vereinigung für Strümpell-Lorrain (A.SL). „Die ersten Symptome der Krankheit traten auf, als ich 35 wurde. Es gab Probleme beim Laufen wegen rascher Ermüdung der Beine. Drei Jahre später ergab eine Untersuchung, daß mein Kleinhirn atrophisch war. Aber erst viele Jahre später wurde bei mir die richtige Diagnose gestellt: Strümpell-Lorrain-Krankheit, auch Familiäre Spastische Paraplegie genannt. Mein Vater hatte die gleiche Krankheit und übertrug sie auf mich und einen meiner Brüder. Meine beiden anderen Brüder und meine Schwester haben das veränderte Gen nicht geerbt. Die Entwicklung der Strümpell-Lorrain-Krankheit ist von Patient zu Patient unterschiedlich. So kann mein Bruder, der etwa so alt ist wie ich, noch mit dem Stock gehen, während ich selbst schon seit mehreren Jahren im Rollstuhl sitze. Die Krankheit hat meine ganze Familie verändert. Tests haben ergeben, daß die Spastische Paraplegie in meinem Fall dominant vererbt wird. Deshalb haben meine beiden Töchter ein 50%iges Risiko, ebenfalls zu erkranken. Hierüber waren sie über mehrere Jahre hinweg sehr verstört, und wir vermieden, darüber zu sprechen. Irgendwann haben wir es dann doch getan, und jetzt schauen sie gefaßt in die Zukunft, obwohl ja das Risikos immer noch da ist.“

A.SL logoZu der Zeit, als bei Philippe die ersten Symptome auftraten, war die Familiäre Spastische Paraplegie nur wenig bekannt, was bei den Patienten ein Gefühl des Verlassenseins erzeugte. Deshalb beschloß Philippe im Jahr 1992, die Französische Strümpell-Lorrain-Vereinigung zu gründen, damit die französischen Patienten zueinander finden können. Heute ist die Vereinigung 700 Mitglieder stark, und sie kommen aus dem ganzen französischen Territorium. Philippe hatte seither auch schon in ganz Europa viele Begegnungen mit Patienten, die mit Spastischer Paraplegie erkrankt sind, und er hat sie ermutigt, in ihrem eigenen Land eine Patientenorganisation zu gründen. Bis jetzt wurden 14 Organisationen gegründet, einige gemeinsam mit Ataxie-Vereinigungen, weil die Störungen ähnlich sind (beide betreffen das Kleinhirn und/oder das Rückenmark). Philippe reiste sogar nach Deutschland, in die Schweiz, nach England und Spanien, um ein europäisches Netzwerk aufzubauen. „Selbst wenn ich die anderen Sprachen nicht sprechen kann, zuerst fühle ich mich als Europäer und erst dann als Franzose“, sagt Philippe. „Was heute wirklich fehlt, ist ein europäischer Verbund, der alle Organisationen unter einem Banner vereint. Manchmal wäre es den Patienten, mit denen ich spreche, lieber, eine örtliche Vertretung der A.SL zu gründen statt einen ganz eigenen Verband. Dies aber würde die Wirkung vermindern, die wir doch haben können.“

Philippes Aktivitäten beschränken sich nicht auf die A.SL. Er spielt auch eine aktive Rolle bei SPATAX1, einem europäischen Forschungs-Netzwerk für die Ataxien und Spastischen Paraplegien. Es wurde 2001 gegründet, wird unterstützt von INSERM2 und AFM3, und vereint 27 wissenschaftliche Teams aus 13 europäischen Ländern. Die Teilnehmer des Netzwerkes versammeln sich ein Mal im Jahr, um die neuesten Forschungsergebnisse auszutauschen. Parallel zu seiner Arbeit bei Spatax beteiligt sich Philippe an den Aufgaben der Französischen Allianz für Seltene Krankheiten (Alliance Maladies Rares), bei der auch A.SL Mitglied ist. Philippe ist für die Region Franche-Comté (Pfalzgrafschaft Burgund) die Regionale Kontaktperson der Allianz. Überzeugt von der Wichtigkeit der Entwicklung eines europäischen Netzwerkes, stellte Philippe sicher, daß A.SL Mitglied von Eurordis wurde. Danach besuchte er die Mitgliedertreffen der Eurordis 2003 in Namur und 2006 in Berlin. „Berlin war für mich eine einmalige Gelegenheit, andere Menschen mit einer seltenen Krankheit zu treffen. Mich ganz auf meine eigene Krankheit zu konzentrieren, ist nicht meine Art. Ich muß allen helfen, die von einer seltenen Krankheit betroffen sind.“ Und Philippe nahm auch noch am Photo-Wettbewerb 2006 der Eurordis teil!
 
Grammont familyIn willkürlicher Reihenfolge sind das noch einige der von Philippe geleiteten Aktivitäten: Organisation des in Besançon jährlich  stattfindenden Ganges für Seltene Krankheiten; Organisation des jährlichen Forums über Seltene Krankheiten in Franche-Comté, das bei den Ärzten immer ein großer Erfolg ist; Herstellung eines Filmes über Spastische Paraplegie, um das Bewußtsein für diese Krankheit zu wecken und die Patienten in ihrem Alltag zu unterstützen; Teilnahme an der französischsprachigen Sommeruniversität für Öffentliches Gesundheitswesen. Niemals gibt Philippe auf, obwohl er sich über den Mangel an Freiwilligen auf dem Gebiet beklagt. „Meine Projekte helfen mir, voran zu kommen“, sagt er. „Mit anderen tätig zu sein, macht es mir möglich, meine eigenen Probleme zu überwinden.“


1Spastic Paraplegia – ATAXia
2Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale (Nationales Französisches Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung)
3Association Française contre les Myopathies (Französische Vereinigung gegen Muskelkrankheiten)


Dieser Beitrag erschien in der Oktoberausgabe 2006 unseres Rundbriefs
Autor:  Jerome Parisse-Brassens
Übersetzer: Ulrich Langenbeck
Fotos: Philippe Grammont /  Association Strümpell-Lorrain